
Geschichte des jüdischen Lebens in Naumburg
Naumburg an der Saale war über Jahrhunderte hinweg ein geistliches, wirtschaftliches und kulturelles Zentrum Mitteldeutschlands. Weniger bekannt ist die Geschichte ihrer jüdischen Bewohnerinnen und Bewohner. Sie reicht bis ins 14. Jahrhundert zurück, erlebte Phasen von Integration, Blüte, Verfolgung und Brüche und fand während der Zeit des Nationalsozialismus ein tragisches Ende. Der folgende Text zeichnet die Entwicklung jüdischen Lebens in Naumburg von den mittelalterlichen Anfängen über die Wiederansiedlung im 19. Jahrhundert bis zu den Deportationen der Jahre 1941/42 und den heutigen Formen der Erinnerung.
Frühe Spuren im Mittelalter
Im 14. Jahrhundert treten jüdische Einwohner erstmals in den Quellen auf. Sie siedelten sich im Bereich östlich des Marktes an, in der später so genannten Jüdengasse. Dort befanden sich eine Synagoge und eine Mikwe, was auf eine organisierte Gemeinde mit religiöser Infrastruktur schließen lässt. Die Stadtverwaltung regelte ihre Ansiedlung streng: 1410 oder 1440 wurde die Zahl der Familien auf 22 begrenzt. Die jüdischen Bewohner waren vor allem im Handel und im Kreditwesen tätig, zugleich aber Anfeindungen ausgesetzt. Während der Pestjahre kam es auch in Naumburg zu Verfolgungen, doch die Gemeinde konnte sich wieder erholen.
Vertreibung und Zerstörung im späten 15. Jahrhundert
Einen radikalen Bruch brachte das Jahr 1494, als Kurfürst Friedrich die Ausweisung der Juden aus den sächsischen Städten anordnete. In Naumburg wurden Synagoge und weitere Gebäude zerstört, 1499 verbot die Stadt vertraglich jede Rückkehr. Damit endete das jüdische Leben für mehrere Jahrhunderte vollständig.
Wiederansiedlung im 19. Jahrhundert
Erst mit dem Übergang Naumburgs an Preußen 1815 änderten sich die Rahmenbedingungen. Einige jüdische Familien ließen sich wieder in der Stadt nieder. Ihre Zahl blieb klein, eine eigene Synagoge entstand nicht, Gottesdienste wurden wohl in Privathäusern gefeiert oder in Nachbarstädten besucht. Auch die Bestattungspraxis zeigt diese enge regionale Vernetzung: ein älterer Friedhof in Naumburg („Hinter der Post“) wurde eingeebnet, spätere Bestattungen fanden in Weißenfels statt.
Kaiserreich und Weimarer Republik
Im 19. und frühen 20. Jahrhundert lebten stets nur wenige jüdische Familien in Naumburg. Sie waren als Kaufleute, Ärzte oder Handwerker tätig und in das städtische Leben integriert, ohne dass sich eine große Gemeinde entwickelte. Im Unterschied zu Städten wie Halle oder Weißenfels fehlten in Naumburg größere Einrichtungen wie Vereine oder Schulen, sodass die Verbindung zu den Nachbargemeinden prägend blieb.
Nationalsozialismus: Entrechtung und Vernichtung
1933 lebten etwa 30 jüdische Familien in Naumburg. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten begann ihre systematische Entrechtung. Am 1. April 1933, dem Tag des reichsweiten Boykotts, kam es zu einer Kundgebung auf dem Markt, die den Beginn der Verfolgung markierte. In den folgenden Jahren verloren viele ihre wirtschaftliche Existenz, wurden aus dem öffentlichen Leben verdrängt oder wanderten ab. 1939 lebten nur noch neun jüdische Personen in der Stadt.
Die letzten Naumburger Juden wurden 1941/42 deportiert. Josef und Eva Gross, zuletzt in der Salzstraße 40 gemeldet, mussten ihr Vermögen offenlegen, bevor sie im Juni 1942 von Halle aus nach Sobibór verschleppt und dort ermordet wurden. Lotte und Fritz Jonas, die ein Kaufhaus betrieben, wurden im Januar 1942 nach Riga deportiert, Lotte Jonas wenige Tage später ermordet. Mit diesen Deportationen erlosch das jüdische Leben in Naumburg endgültig.
Erinnerungskultur seit den 1990er-Jahren
Nach 1945 geriet die Geschichte zunächst weitgehend in Vergessenheit. Erst seit den 1990er-Jahren entstanden Initiativen zur Erinnerung. Die Jüdengasse blieb im Stadtbild erhalten, und seit 1994/1999 erinnert eine Gedenktafel am Torbogen zum Topfmarkt an die frühere Gemeinde. Einen wichtigen Platz in der Erinnerungskultur nehmen die Stolpersteine ein: Seit 2009 wurden sie an mehreren Orten verlegt, inzwischen erinnern 17 Steine an Opfer wie die Familien Gross, Jonas und Hollaender. 2025 kamen weitere hinzu. Der Diebstahl mehrerer Steine im Jahr 2024 verdeutlichte die Fragilität dieser Denkmäler, zugleich führten städtische Projekte wie „Der Klang der Stolpersteine“ zu neuer Aufmerksamkeit.
Quellen:
- Stadt Naumburg (Saale): „Jüdengasse“. o. D. Online. Zugriff: 22.09.2025.
- Jewish Places (Stiftung Jüdisches Museum Berlin): „Jüdengasse (Naumburg)“. Stand: 24.02.2024. Zugriff: 22.09.2025.
- Alicke, Klaus-Dieter (Hg.): Lexikon der jüdischen Gemeinden im deutschen Sprachraum. 3 Bde. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2008. ISBN 978-3-579-08035-2.
- Jüdische Gemeinden (Online-Fassung des Lexikons): „Naumburg (Saale)“. o. J. Zugriff: 22.09.2025.
- Wießner, Heinz: Germania Sacra, NF 35,1/2: Das Bistum Naumburg. Die Diözese. De Gruyter, Berlin/New York 1997/1998.
- Onnasch, Martin: „Verfolgt – vertrieben – umgebracht. Naumburger Juden 1933–1945“. In: Saale-Unstrut-Jahrbuch, 4. Jg., 1999, S. 91–100.
- Onnasch, Martin: „Verfolgungen von Juden in Naumburg 1933–1945“. In: Saale-Unstrut-Jahrbuch, 1. Jg., 1996, S. 92–94.
- Landesverband Jüdischer Gemeinden Sachsen-Anhalt: „Naumburg (Saale)“. o. D. Zugriff: 22.09.2025.
- Alemannia Judaica: „Naumburg (Saale) – Jüdischer Friedhof“. 15.05.2013. Zugriff: 22.09.2025.
- Bundesarchiv: Gedenkbuch – Opfer der Verfolgung der Juden. Einträge „Eva und Josef Gross“. Zugriff: 22.09.2025.
- Stadt Naumburg (Saale): „Verlegung von sieben Stolpersteinen im Spechsart 5“. Meldung, 05.03.2025.
- Wikipedia: „Liste der Stolpersteine in Naumburg (Saale)“. Zugriff: 22.09.2025.
- TracesOfWar: „Stumbling Stones Herrenstraße 16–17 – Naumburg (Saale)“. o. J. Zugriff: 22.09.2025.
- Mitteldeutsche Zeitung: „54 Namen, 54 Schicksale“. 10.11.2022. Zugriff: 22.09.2025.
- Burgenlandkreis im Bild: „Jüdengasse Naumburg – Gedenktafel“. 24.02.2024. Zugriff: 22.09.2025.
- Stadt Naumburg (Saale): Flyer „Der Klang der Stolpersteine“. 09.11.2024. Zugriff: 22.09.2025.